Nach einem Unfall oder durch eine plötzliche schwere Erkrankung kommt es meist völlig unerwartet, dass die Partnerin, der Partner oder ein Elternteil zum Pflegefall wird und den Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen kann. Wie Sie als Angehörige*r diese emotionale (und auch organisatorische) Herausforderung angehen können, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Wenn Angehörige plötzlich pflegebedürftig werden, kann das für alle Beteiligten eine psychosoziale Krise auslösen. Bewährte Fähigkeiten und Strategien reichen dann nicht mehr aus, um die schwierige Situation zu meistern. Das seelische Gleichgewicht gerät ins Wanken. Als „Person in der 2. Reihe“ erleben Angehörige die Krise unmittelbar mit. Und durch die Beziehung, die sie zu den Betroffenen hat, betrifft sie sie auch direkt.
Die Phasen einer Krise
Die Phasen einer Krise beschreiben den emotionalen Prozess, den Menschen durchlaufen, wenn sie mit einer plötzlichen und belastenden Situation konfrontiert sind. Diese Phasen bieten Orientierung und helfen zu verstehen, wie sich Gefühle und Reaktionen im Laufe der Zeit verändern.
1. Schock: In der Schockphase reagiert die betroffene Person auf die Krise mit einem Gefühl der Überwältigung. Dies äußert sich häufig in einer emotionalen Erstarrung, Ungläubigkeit oder einem Gefühl der Taubheit. Manchmal können auch körperliche Symptome wie Zittern oder Schwäche auftreten. Diese Phase dient als kurzfristiger Schutzmechanismus, der es ermöglicht, die Schwere der Situation vorerst abzufedern.
2. Reaktion: In der Reaktionsphase zeigen sich die emotionalen Auswirkungen der Krise. Gefühle wie Angst, Verzweiflung, Trauer oder auch Wut treten in den Vordergrund. Menschen in dieser Phase verarbeite die Krise emotional besser, wenn sie alle Gefühle – belastende wir stärkende – da sein lassen und ihnen Raum geben. Diese Phase kann sehr intensiv und herausfordernd sein, da die Realität der Krise immer greifbarer wird.
3. Bearbeitung: In der Bearbeitungsphase beginnt die Person, die neue Realität zu akzeptieren und nach Lösungen oder Bewältigungsstrategien zu suchen. Es geht darum, die Situation aktiv anzugehen, z.B. durch notwendige Veränderungen oder Unterstützung. Hierbei können Reflexion und Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen helfen, den Weg nach vorne zu finden.
4. Neuorientierung: Die Neuorientierungsphase ist der Punkt, an dem die betroffene Person wieder nach vorne blickt. Oft entstehen in dieser Phase neue Perspektiven oder positive Entwicklungen, die zuvor nicht möglich erschienen. Die Krise ist nun ein integrierter Teil der Lebensgeschichte, der als Erfahrung dient.
Quelle: https://twitter.com/quarkswdr/status/1245232946874810368
Neue Rollen der engen Bezugspersonen
Für Menschen, die Angehörige in einer Krise begleiten, verändert sich ihre bekannte und vertraute Rolle, die sie vielleicht über Jahrzehnte eingenommen haben. Sie sind nicht mehr nur Ehemann oder Ehefrau, Sohn oder Tochter, sondern vor allem Begleitende oder Pflegende. Das wirkt sich auch auf die die Dynamik und die Beziehung zur*m Betroffenen aus.
Jemanden durch eine schwierige Zeit zu begleiten, ist eine wichtige Unterstützung, doch sie sollte nicht in ein Ungleichgewicht oder Überfürsorge kippen. Ein Betroffener darf – solange er oder sie keiner und keinem anderem dadurch schadet – eigene Entscheidungen treffen. Das gilt es immer zu akzeptieren.
Vorsicht, Helfersyndrom!
Wichtig ist, dass die Begleitenden das Gleichgewicht der Beziehung im Auge behalten. Überfürsorge kann in diesem Zusammenhang zum Problem werden. Ein Risiko ist auch das sog. Helfersyndrom. Für Menschen, die darunter leiden, erfüllt Helfen eine besondere Aufgabe: Nur wenn sie andere unterstützen können, wenn andere ihre Hilfe brauchen und auf sie angewiesen sind, fühlen sie sich wertvoll.
Aktiv und hilfreich unterstützen, ohne sich selbst zu verlieren
Angehörigen zu begleiten oder zu pflegen, kann erfüllend sein, aber auch körperlich und psychisch sehr beanspruchen. Das kann gesundheitliche Probleme bis hin zu Krankheit verursachen und sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken.
Wirklich beistehen und helfen können wir allerdings nur, v.a. auf Dauer, wenn wir auch gut auf uns schauen. Diese Balance zu immer wieder neu herzustellen, ist eine Herausforderung.
Gezielte entlastende Maßnahmen können helfen, die Begleitung zu erleichtern und vor Überlastung zu schützen.
Übung: „Energietank“. Wo liegt Ihr Energielevel und wo ist es nötig aufzutanken?
Mithilfe des Bildes vom Energietank können Sie einen persönlichen Energiecheck vorzunehmen. Anhand dieser Übung machen Sie Energiespender und Energieräuber aus und können sich Maßnahmen überlegen, um Ihr Energieniveau bewusst anzuheben. Schritt für Schritt.
Quelle: Sylvia Kéré Wellensiek/Kirsten Schwarz: Der Resilienzparcours ©Beltz Verlag 2018
Unsere Leseempfehlung
Unsere externe Mitarbeiterberaterin Maja Günther begleitet seit vielen Jahren Menschen durch schwierige Lebenssituationen und Krisen. In den Buch hat sie ihre Erfahrungen zusammengefast und gibt hilfreiche, praxisorientierte Tipps, um seelische Ausnahmesituationen gut zu meistern.
Günther, M., Sterr, A. (2022). Durch die Krise begleiten. Rat und Hilfe für Menschen in seelischen Ausnahmensituationen. München: pal. https://shop.palverlag.de/products/durch-die-krise-begleiten