Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Um Beschäftigte vor möglichen Gefahren im Zusammenhang mit ihrer Arbeit zu schützen, sind Arbeitgeber verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung durchführen. Dazu gehört auch die Beurteilung psychischer Belastungen bei der Arbeit. In diesem stg-Impuls erfahren Sie, worauf Sie hierbei achten sollten.
Doppelter Fokus
Arbeit darf nicht krank machen – weder körperlich noch seelisch. Deshalb sind alle Arbeitgeber – auch Kleinbetriebe ab dem ersten Beschäftigten – verpflichtet, Arbeitsschutzmaßnahmen zu treffen, um Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden sicherzustellen. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist ein zentrales Element des betrieblichen Arbeitsschutzes.
Bis vor einigen Jahren lag der Schwerpunkt auf Gefährdungen durch Arbeitsgeräte bzw. physikalische, chemische oder biologische Einwirkungen, z. B. durch Lärm oder Staub. Seit 2013 sind psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen (§ 5 ArbSchG). Denn ebenso wie für die körperliche Gesundheit tragen Arbeitgeber auch Verantwortung für das seelische Wohlbefinden der Beschäftigten.
„Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.“ (§ 4 ArbSchG)
Eindeutige Perspektive
Die Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung am Arbeitsplatz zielt nicht darauf ab, die mentale Gesundheit der Beschäftigten zu beurteilen. Vielmehr gilt es darum, die Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu untersuchen, um damit Gefährdungen durch psychische Belastung zu verringern oder ganz zu verhindern.
Wichtige Aspekte der Untersuchung sind neben Arbeitsanforderungen, -inhalten und -organisation auch die sozialen Beziehungen während der Arbeit sowie die Arbeitsumgebung selbst. Hierbei reicht es nicht aus, die psychische Gefährdungsbeurteilung einmalig durchzuführen. Der Arbeitgeber muss die sich verändernden Arbeitsbedingungen stetig im Blick haben. Deshalb sollte die psychische Gefährdungsbeurteilung immer aktuell sein, da sie die Grundlage für die erforderlichen Schutzmaßnahmen darstellt. Diese muss der Arbeitgeber regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen.
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
- liefert Management, Personalverantwortlichen, Fach- und Führungskräften sowie betrieblichen Interessenvertretern einen objektivierten Zustandsbericht Ihres Unternehmens
- sensibilisiert für die Gefährdungen aus psychischer Belastung
- legt Handlungsbedarf und Entwicklungspotenzial im Unternehmen offen
- bietet konkrete Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Organisationsentwicklung
- leistet Beiträge zur Entwicklung einer gesunden Unternehmenskultur
Belastung gehört dazu
Psychische Belastung sind alle äußeren Einflüsse, die sich auf die menschliche Psyche auswirken. Sie beeinflussen das Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Verhalten einer Person. Anders als im alltäglichen Sprachgebrauch ist der Begriff „Belastung“ wertfrei.
Eine Arbeit ohne körperliche Belastung ist ebenso wenig wünschenswert wie Tätigkeiten ohne jede psychische Belastung. Schließlich sind es die Anforderungen des Arbeitsumfelds, die die Ressourcen der oder des Einzelnen zum Tragen bringen. So entsteht aus Belastung schließlich Leistung – vorausgesetzt, Rahmen und Balance stimmen.
Ähnlich wie körperliche Überbelastung gesundheitsgefährdend sein kann, wirkt auch psychische Belastung bei der Arbeit mitunter beeinträchtigend – bei andauerndem Zeit- und Leistungsdruck etwa oder ungünstiger Schichtarbeit. Das schadet Beschäftigten wie Unternehmen.
Fünf Gestaltungsbereiche
Was sind psychische Belastungen in der Arbeit? In der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA)1 legen Bund, Länder und Unfallversicherungsträger fünf Gestaltungsbereiche Handlungsfelder für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung fest.
- Arbeitsinhalt und -aufgabe
- Arbeitsorganisation
- Arbeitszeit
- Soziale Beziehungen
- neue Arbeitsmittel
- Arbeitsumgebung
Die seit 2014 in der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) entwickelten „Empfehlungen zur Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung“ sind eine anerkannte Referenz für die betriebliche Arbeitsschutzpraxis. Seit August 2022 liegen sie in vollständig überarbeiteter Neuauflage vor.
Link zum Download der Broschüre: : https://www.gda-psyche.de/fileadmin/gda/Downloads/Broschuere_psychsiche_Belastung_Auflage_4_2024.pdf
Mögliche Gefährdungsquellen
Psychische Gefährdungen sind – nicht nur für den Bildschirmarbeitsplatz – u.a.
- Unzufriedenheit mit der Arbeit
- monotone Arbeitsinhalte
- geringer Handlungsspielraum
- Isoliertheit im Einzelbüro oder Homeoffice bzw. Lärm im Großraumbüro
- hoher Zeitdruck
- Arbeitsunterbrechungen von außen
- Hitze oder Kälte oder
- soziale Beziehungen zu Kunden, Kollegen und Vorgesetzten
Insbesondere beim Arbeiten im Homeoffice ergeben sich neben Chancen auch beachtliche Risiken. Es besteht u.a. die Gefahr einer höheren Belastung durch entgrenzte Arbeitszeiten. Manche Beschäftigte empfinden auch das Eindringen ins Private als belastend. Die sog. „Zoom-Fatigue“ bzw. Erschöpfung durch virtuelle Kommunikation und Kooperation kann zu verminderter Konzentration, Ungeduld, erhöhter Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Rücken- und Magenschmerzen bis hin zu Schlafstörungen führen. Psychische Belastungen können sich immer auch körperlich auswirken. Technostress entsteht weiterhin durch Überforderung durch (neue) technische Geräte oder Systeme.
Weitere psychische Belastungsfaktoren sind u.a.
- soziale Isolation,
- familiäre Aufgaben (z.B. Kinderbetreuung),
- ein Gefühl der Dauererreichbarkeit,
- fehlende oder verkürzte Pausen,
- fehlende Strukturierung des Arbeitsalltags sowie
- mangelnde Balance zwischen Arbeit und Freizeit
Verpflichtung ohne festgelegte Standards
Das Arbeitsschutzgesetz stellt Unternehmen eine klare Verpflichtung: regelmäßige Gefährdungsbeurteilung, um ihre Arbeitsbedingungen zu überprüfen, Maßnahmen abzuleiten und diese zu dokumentieren.
Wie die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen aussieht, legt das Gesetz allerdings nicht fest. Wo es keine einheitlichen Standards gibt, braucht es verlässliche Erfahrungswerte. Für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen empfehlen wir daher ein Verfahren in fünf Schritten:
Schritt 1: Vorbereitung
Führungskräfteworkshop mit Bestandsaufnahme und Zielsetzung, Auswahl der Instrumente, Klärung der Rollen von internen und externen Beteiligten.
Die sorgfältige Planung legt den Grundstein für eine erfolgreiche Umsetzung der folgenden Schritte. Dabei sollten sowohl die spezifischen Anforderungen des Unternehmens als auch die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt werden. Eine umfassende Bestandsaufnahme ermöglicht es, alle relevanten Faktoren zu identifizieren, die zu psychischen Belastungen führen könnten. Zudem sollte in dieser Phase die Kommunikation der geplanten Maßnahmen an alle Beteiligten erfolgen, um Transparenz und Akzeptanz zu gewährleisten.
Schritt 2: Durchführung
Individuell angepasste, schriftliche Mitarbeiterbefragung, bei Bedarf ergänzt durch Beobachtungsinterviews.
Eine der effektivsten Methoden zur Ermittlung psychischer Belastungen ist die direkte Einbindung der Mitarbeitenden. Durch regelmäßige Befragungen lassen sich wertvolle Informationen über die wahrgenommenen Belastungen und Stressoren sammeln. Anonyme Befragungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, ehrliche und unverfälschte Antworten zu erhalten.
Zusätzlich können Beobachtungsinterviews durchgeführt werden, um ein tieferes Verständnis der Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen psychischen Belastungen zu gewinnen. Es ist wichtig, dass die Durchführung methodisch fundiert und systematisch erfolgt, um valide und zuverlässige Daten zu erhalten.
Schritt 3: Auswertung
Moderierte Führungskräfteworkshop mit Präsentation der Ergebnisse, Analyse und Diskussion der eventuell kritischen Belastungsausprägungen. Erarbeitung von Maßnahmen gegen ermittelte Belastungen.
Diese Workshops fördern nicht nur das Verständnis für die psychischen Belastungen, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl und die Zusammenarbeit im Team. Die Ergebnisse sollten transparent und nachvollziehbar präsentiert werden, um eine gemeinsame Basis für die Ableitung von Maßnahmen zu schaffen. Es ist entscheidend, dass die Führungskräfte aktiv in den Auswertungsprozess eingebunden werden, um ihre Perspektiven und Erfahrungen zu berücksichtigen. Dies erhöht die Akzeptanz und die Bereitschaft zur Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen.
Schritt 4: Implementierung
Umsetzung der definierten Maßnahmen im Unternehmen, z. B. Neuausrichtung der internen Kommunikation, Führungskräfte-Schulungen und Trainings zu Achtsamkeit, Resilienz und Teamentwicklung.
Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Identifikation und Reduzierung psychischer Belastungen. Sie sollten daher in den Themenbereichen Stressmanagement, Kommunikation und Konfliktlösung geschult werden.
Schritt 5: Evaluation
Regelmäßige Wirksamkeitskontrolle umgesetzter Maßnahmen und Anpassung bei Bedarf, z. B. durch Führungskräfte- und Teamworkshops, schriftliche Kurzbefragungen und mündliches Nachfragen bei Begehung.
Die Evaluation sollte nicht nur die Wirksamkeit der Maßnahmen, sondern auch deren Akzeptanz und Umsetzbarkeit berücksichtigen. Bei negativer Evaluation sind weitergehende oder andere Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.
Fazit:
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist ein essenzieller Bestandteil des modernen Arbeitsschutzes. Durch die systematische Ermittlung, Bewertung und Reduzierung psychischer Belastungen können Unternehmen die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter fördern und gleichzeitig deren Motivation und Leistungsfähigkeit steigern. Personalerinnen und Personaler spielen hierbei eine zentrale Rolle. Maßgeschneidert konzipiert und stringent durchgeführt, ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung für sie ein wirksames Tool, um eine nachhaltige und gesunde Arbeitsumgebung zu gewährleisten.
Angebot mit Mehrfachnutzen
Wir unterstützen Sie bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung in Ihrem Unternehmen.
- Planung und Durchführung von Workshops
- Auswahl und Anpassung der Instrumente
- Durchführung von Mitarbeiterbefragungen und Beobachtungsinterviews
- Auswertung und Aufbereitung der Ergebnisse
- Gemeinsame Entwicklung der Maßnahmen
- Mithilfe bei deren Umsetzung und Evaluation
Ihre Ansprechpartnerin
Dr. Iris Hackermeier
Bereichsleiterin Externe Mitarbeiterberatung (EAP)
Tel.: +49(0)89/921315966
E-Mail: i.hackermeier@stg-mitarbeiterberater.de