„Zoom Fatigue“ – Müde vorm Bildschirm

Online-Meetings sind Segen und Fluch zugleich. Sie ermöglichen Homeoffice, verbinden Teams und sparen Reisezeit.  Zu viele Videokonferenzen können unglaublich anstrengend sein. „Zoom Fatigue“ heißt das Phänomen, mit dem viele Beschäftigte am Schreibtisch sitzen und müde-genervt mit den Bilderkacheln vor sich kommunizieren. Wie sich diese Erschöpfung erklären lässt und was Sie dagegen tun können, erfahren Sie in diesem stg-Impuls.

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Messbar anstrengend

Jeff Hancock ist Kommunikationswissenschaftler. Er forscht an der Stanford-Universität in den USA, sein Spezialgebiet sind soziale Medien. Mit seinem Team befragte Hancock Anfang 2021 knapp 10.600 Teilnehmer*innen von Videokonferenzen zu ihren Erfahrungen mit Zoom und Co. – natürlich online! Um herauszufinden, was an Online-Meetings nervt und warum, entwickelten die Wissenschaftler*innen eine Skala, die die psychologischen Effekte beim Online-Konferieren misst.

Im April 2021 wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Hauptergebnis der Studie: Online-Meetings sind viel anstrengender als persönliche Treffen. Die Belastung, die mit virtueller Kommunikation und Kooperation einhergeht, zeigt sich in unterschiedlicher Form: Konzentrationsschwierigkeiten, Ungeduld, Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Nacken- und Rückenprobleme sowie vieles mehr.


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Warum sind Online-Meetings so anstrengend?

Überfordertes Gehirn

In Videokonferenzen ist unser Blickfeld kleiner. Die Teilnehmer*innen mit allen Sinnen wahrzunehmen ist kaum möglich. Auch unser „eingebautes“ Sensorium zum subtilen Scannen und Einordnen der Situation funktioniert online nur äußerst eingeschränkt. Unser Gehirn ist in Onlinemeetings permanent damit beschäftigt, die fehlenden Informationen zu kompensieren. Das ermüdet.

In Meetings mit vielen Teilnehmer*innen ist es kaum möglich, die Reaktionen aller auf Gesprächsbeiträge zu erfassen, so wie es das periphere Sehen in einem echten Konferenzraum erlaubt. Außerdem führt jede Bewegung, jedes Wort zu einem Bildwechsel oder einem anderen optischen Hinweis auf dem Monitor. Unsere Augen und unser Gehirn registrieren das alles – die Verarbeitung dieser Reize strengt auf Dauer an.


Wenig Blickkontakt – viele Blicke

Ergreift jemand in einem Präsenzmeeting das Wort, schauen wir sie oder ihn an. Blickkontakt ist der Normalfall. Er bündelt die Aufmerksamkeit und schafft Verbindung in der Interaktion. Online ist das anders. Wir sehen in die Kamera, damit der andere den Eindruck hat, dass wir ihn anschauen. Nur leider sehen wir ihn oder sie so nicht.

Auf der anderen Seite sind wir während einer Onlinekonferenz die ganze Zeit sichtbar. Virtuell sitzen wir bei eingeschalteter Kamera nonstop auf dem Präsentierteller. „Hyper gaze“, also übermäßiges Anstarren, nennt Jeff Hancock diesen Effekt in seiner Studie. Er erläutert auch dessen häufige Folgen: Anspannung und Unruhe, bis hin zu Angst.

Verstärkt wird der Effekt durch den eingeschränkten Bewegungsradius vor der Kamera. Um im Bild zu bleiben, bewegen sich die Teilnehmer*innen viel weniger als bei persönlichen Treffen. In Verbindung mit dem beschriebenen „Hyper gaze“ führt dies nicht selten zu der unangenehmen Empfindung, körperlich gefangen zu sein. Dies für die Dauer des Meetings zu unterdrücken, strengt enorm an.


Spieglein, Spieglein …

Stellen Sie sich vor, in jedem Konferenzraum stünde direkt vor Ihnen ein großer Spiegel. Sie sähen sich bei jedem Wort, bei jeder Geste. Könnten Sie sich noch auf das Meeting konzentrieren? Wahrscheinlich nicht.

Online aber sollen Sie es. Und das, obwohl Sie sich dauernd selbst sehen und wahrscheinlich kontrollieren. Selbstaufmerksamkeit heißt das Phänomen. Dass man bei Videokonferenzen nicht nur ständig beobachtet wird, sondern sich auch noch selbst sieht, führt zu einer multiplen Selbstbespiegelung. Diese wiederum kann Stress auslösen.

So überlagert die Sorge, optisch und verbal einen schlechten Eindruck zu machen, mitunter den Sachinhalt der Kommunikation. Wird der Blick allzu kritisch, kann die entstehende „Spiegelangst“ zur Belastung werden.


Die leidige Technik und das Außenherum

Jede Onlinekonferenz ist nur so gut wie das Equipment und die Internetverbindung ihrer Teilnehmer*innen. Verpixelte Gesichter, Standbilder, abgehakter Ton oder  Mundbewegung und Ton passen nicht zusammen (sog. Latenz). Das ermüdet alle Beteiligten. Technische Probleme verstärken die Zoom Fatigue.

Eine „Ablenkung“ der besonderen Art ist das Multitasking. In Videokonferenzen sinkt die Hemmschwelle, mal eben die Mails zu checken Termine zu prüfen oder Nachrichten zu verschicken. Am Rechner fällt das weniger auf als im direkten Kontakt. Multitasking kann ein Versuch sein, die eigene Produktivität zu erhöhen oder eine Art „Ventil“, um die beschriebenen kognitiven und emotionalen Belastungen zu kanalisieren. Letztlich jedoch verstärkt es die Zoom Fatigue.


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Was tun gegen die Zoom Fatigue?

Naheliegendes

Mehr Pausen

Das bewegungsarme Sitzen in Videokonferenzen schlaucht untergründig. Seine anstrengende Wirkung wird deshalb oft unterschätzt. Vermeiden Sie nach Möglichkeit Termine, die direkt aufeinanderfolgen. 5 bis 10 Minuten Pause – am besten aktiv gestaltet – machen schon einen Unterschied.

Weniger von allem

Braucht es die Videokonferenz wirklich? Und falls ja, mit wem und wie lange? Nicht jedes Online-Meeting mit mehreren Teilnehmer*innen ist wirklich notwendig. Vieles lässt sich telefonisch regeln, manches am Bildschirm, aber ohne Kamera, in der Hälfte der Zeit und mit weniger Leuten. Mehr Bewusstheit und Klarheit hilft gegen Zoom Fatigue.

Kein Multitasking

So verführerisch es sein mag – vermeiden Sie Multitasking in Videokonferenzen. Das parallele Arbeiten teilt Ihre Aufmerksamkeit noch mehr, als es die beschriebenen Anforderungen in Online-Meetings ohnehin schon tun. Das bindet kognitive Ressourcen und strengt an. Es geht ja auch darum, nach der Videokonferenz weiterzuarbeiten. Einem zunehmend erschöpften Gehirn fällt das schwer.


Smileys und Klebezettel

Bei manchen Videokonferenzen ist es wichtig, dass Sie so oft wie möglich in die Kamera blicken und damit die anderen Teilnehmer*innen direkt anschauen. Das kann in einem Mitarbeiter- oder Bewerbungsgespräch sein oder wenn Sie moderieren. Da hilft es, einen oder zwei Smileys neben die Kameralinse zu kleben. Diese freundlichen „Gesichter“ dienen als Anker, und sie lenken Ihren Blick, weil sie „Augen“ haben. Schräg, aber wahr!

Wenn Sie merken, dass Ihr Blick immer wieder auf das eigene Bild wandert, wenn dies Ihre Aufmerksamkeit bindet und Sie anstrengt, verdecken Sie diesen Teil Ihres Bildschirms für die Dauer des Meetings mit einem Klebezettel. Das verringert die visuelle Ablenkung und beruhigt den inneren Kritiker mit seiner „Spiegelangst“.


Unterstützung für und durch den Körper

Gezielte Körperübungen helfen, mehrere Videokonferenzen gut zu überstehen.

Im Online-Meeting: Bei hoher körperlicher Anspannung hilft noch mehr Anspannung. Wenn Sie merken, dass Sie sehr verkrampfen, erhöhen Sie absichtlich die Muskelspannung in diesem Bereich. Das kann der Bauch sein, Oberarme und Schultern, die Hände oder Oberschenkel und Gesäß. Halten Sie die Spannung ca. fünf Sekunden, dann lassen Sie sie los. Der Körper registriert die Differenz zwischen beiden Zuständen als Entspannung.

Zwischen zwei Online-Meetings: Hier helfen starke, kurze Reize, um den Körper zu aktivieren und die Aufmerksamkeit neu auszurichten – zum Beispiel das Abklopfen.

So geht’s:

  • Stellen Sie sich hüftbreit hin, ggf. können Sie Ihre Schuhe ausziehen, um die Auflagefläche der Füße besser zu spüren.
  • Beginnen Sie mit Ihrem Kopf: Klopfen Sie mit den Fingerspitzen beider Hände an der Scheitellinie entlang, von der Stirn bis zur Schädelbasis und wieder zurück. Dann die Stirn hinunter bis zu Ihren Augenbrauen, dort verbleiben Sie klopfend einige Momente.
  • Dann klopft die rechte Hand den linken Arm – von der Schulter, über Ober- und Unterarm bis zur Handfläche. Dann Arm drehen und in umgekehrter Richtung nach oben bis zur Schulter klopfen. Am rechten Arm wiederholen.
  • Anschließend klopft die rechte Hand das rechte Bein außen von der Hüfte abwärts, den Fußrücken und die Innenseite nach oben. Am linken Bein wiederholen.
  • Dann klopft die rechte Hand das rechte Bein an der Rückseite von oben nach unten über den Knöchel an der Vorderseite nach oben.
  • Anschließend klopfen beide Handflächen erst den Lendenbereich, dann den Unterbauch. Vorsicht, diese Bereiche sind empfindlich!
  • Wenn Sie fertig sind, atmen Sie tief ein und aus und spüren Sie nach. Wie fühlt sich Ihr Körper jetzt an?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Humor sorgt für Distanz zum Geschehen, Lachen entspannt und verbindet. Das sogenannte Bullshit-Bingo etwa kann für gemeinsames Schmunzeln sorgen.

So geht’s: Drucken Sie den Spielzettel aus, den Sie im Link unten finden, und halten Sie ihn griffbereit. Wenn Sie einen der Sätze darauf hören, streichen Sie ihn durch. Wer zuerst fünf Kreuzchen in einer Reihe (vertikal, horizontal oder diagonal) hat, ruft „Bingo!“ und hat gewonnen.

Hier geht’s zum „Bullshit-Bingo“ für Online-Meetings (LINK zum PDF)


Unser Webinar zum Thema

Sie wollen Ihr Team gegen Zoom Fatigue fit machen und Ihre Resilienz stärken? Dann besuchen Sie doch unser Webinar zum Thema. Für weitere Infos sprechen Sie uns gerne an.


Übrigens

Mehr über die Reaktion auf lang andauernde Belastungen und externe Mitarbeiterberatung lesen Sie in unserem stg-Impuls. Das sind Expertentipps aus unserer Beratungspraxis, die wir unseren Kundenunternehmen und deren Mitarbeitenden regelmäßig in gelayouteter Form zur Verfügung stellen.

Möchten Sie mehr darüber erfahren? Dann wenden Sie sich bitte an Martin Reinhardt.


Quellen: https://www.sueddeutsche.de/panorama/videokonferenzen-zoom-fatigue-studie-1.5270664https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3820035

Fotos: Sigmund (unsplash) / Steinar Engeland (unsplash)

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