Self-Nudging: Dem inneren Schweinehund auf die Sprünge helfen

Sofa statt Sport, Schnitzel statt Salat, Auto statt Fahrrad … wir wissen es besser und entscheiden uns doch für die bequemere, leckerere oder schnellere Option. Oft zu einem hohen Preis, bezahlt mit schlechtem Gewissen, Selbstverachtung oder der eigenen Gesundheit. Dabei lässt sich der innere Schweinehund bewegen.

In diesem Beitrag erfahren Sie, was Self-Nudging ist und wie es gegen das lästige Aufschieben hilft.

Self-Nudging stg-Impuls

Das lästige Aufschieben

Manche Menschen kennen ihn gar nicht, den sog. inneren Schweinehund. Sie erledigen ihre Aufgaben sofort und verspüren gar nicht den Wunsch etwas liegenzulassen. Es sind Menschen mit großer innerer Motivation und einem Drive, der sie antreibt. Diese Menschen sind selten.

Die meisten von uns schieben Tätigkeiten vor sich her. Diese reichen von Klassikern wie die Steuererklärung bis hin zu individuellen „Bäh-Aufgaben“ wie Fensterputzen, eine Präsentation halten oder eine komplizierte Aufgabe angehen. Etwa 20 Prozent aller Menschen jedoch vertagen lästige Pflichten so konsequent, dass sie massiv darunter leiden und drastische Folgen drohen. Dann wird die „Aufschieberitis“ zur ernsthaften Störung.

Prokrastination, so heißt pathologisches Aufschiebeverhalten im Fachjargon. Prokrastination ist eine Arbeitsstörung, sie kann private Alltagsaktivitäten ebenso betreffen wie schulische, akademische und berufliche Tätigkeiten.


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Nachweise im Gehirn

Zwischen dem weit verbreiteten Alltagsphänomen und der psychischen Störung gibt es viele Facetten des Aufschiebens. Generell gilt: Wer sich in seinem Alltag beeinträchtig sieht, sollte handeln. Je deutlicher die wahrgenommene Einschränkung, desto höher der Handlungsdruck.

Wichtig dabei: Aufschieben bzw. Prokrastination hat nichts mit Willensschwäche, Faulheit oder fehlender Motivation zu tun. Es handelt sich vielmehr um ein Problem der Selbststeuerung. Wirksame Strategien setzen genau hier an.

Wissenschaftliche Studien unterstreichen diesen Tatbestand. So haben Forscher*innen der Universität Bochum herausgefunden, dass bei Menschen mit Hang zum Aufschieben ein ganz bestimmter Teil des Gehirns vergrößert ist. Es handelt sich um den sog. Mandelkern (Amygdala).

Er ist, vereinfacht ausgedrückt, das Gefühlszentrum, zuständig für die Verarbeitung und Kontrolle von Emotionen, v.a. der Angst. Außerdem beeinflusst der Mandelkern zum Beispiel, ob wir bestimmte Dinge und eher positiv (Belohnung) oder negativ (Bestrafung) empfinden.

Daneben war bei den aufschiebenden Proband*innen eine andere Gehirnregion weniger stark ausgeprägt als gewöhnlich: der sog. dorsale anteriore cinguläre Cortex. Wie die Amygdala spielt auch dieser Teil des Gehirns eine wichtige Rolle bei der Steuerung unseres Verhaltens.


Der Preis des Aufschiebens

Wer das Erledigen unangenehmer oder schwieriger Aufgaben hinauszögert, hat subjektiv also gute Gründe. Hinzu kommt: Alternative Ersatzhandlungen bringen oft sofortige Belohnung. Ein Like, eine Nachricht, ein paar News, ein Onlinekauf bescheren uns gute Gefühle in Sekundenschnelle. Der Preis dieses Verhaltens hingegen schleicht sich erst langsam ins Leben ein.

Schließlich erzeugen die vor sich hergeschobenen Aufgaben einen inneren, oft lähmenden Druck. Es folgen Unzufriedenheit, wachsende Anspannung und Angst vor dem Scheitern. Nach und nach entwickeln die Betroffenen ein negatives Selbstbild, empfinden sich als Looser. Meist blieben sie daher hinter ihrem Leistungsniveau zurück.

Aufschieber*innen leiden unter ihrem Verhalten und dessen mittel- und langfristige Konsequenzen. Der Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Manfred Beutel, hat die Studie zur Prokrastination durchgeführt. Befragt wurden 2.527 Menschen zwischen 14 bis 95 Jahren. „Die Repräsentativ-Erhebung zeigte, dass Menschen, die Tätigkeiten häufig aufschieben, seltener in Partnerschaften lebten, häufiger arbeitslos waren und über ein geringes Einkommen verfügten. (…) Die Studie bestätigt, dass ausgeprägtes Aufschiebeverhalten von wichtigen Tätigkeiten mit Stress, Depression, Angst, Einsamkeit und Erschöpfung einhergeht.“

Ein weiteres Problem: Notorische Aufschieber sind um keine Ausrede verlegen. Das verschlechtert mittelfristig ihre sozialen Beziehungen, da sie Gefahr laufen, im Freundes- und Kollegenkreis als unzuverlässig zu gelten. Im schlimmsten Falle bildet sich ein Teufelskreis aus Aufschieben, Vermeidung, Versagensgefühlen, Erschöpfung und sogar Depression. Hier bedarf es oft einer stationären Therapie.

Die gute Nachricht: Ein Klinikaufenthalt ist die Ausnahme. Die alltägliche Aufschieberitis lässt sich mit gezielten Verhaltensänderungen gut in den Griff bekommen.

Eine davon ist das sog. Self-Nudging.


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Praxisteil: Self-Nudging

Mini-Stupser in die gewünschte Richtung

Nudges heißt auf Deutsch Stupser. Gemeint sind damit kleine Hinweise und Anregungen, die unsere Selbstkontrolle stärken und uns helfen, selbstgesteckte, langfristige Ziele zu erreichen. Mit dem sogenannten Self-Nudging können wir unsere unmittelbare Umgebung so verändern, dass gewünschte Entscheidungen leichter fallen. Das zumindest meinen die Erfinder des Konzepts, Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, und Samuli Reijula, Philosoph an der Universität Helsinki.

Dabei müsse man jedoch zunächst verstehen, wie die Architektur unserer Umgebung unsere Entscheidungen beeinflusst – zum Beispiel die ständigen Benachrichtigungen von Apps auf unserem Smartphone oder der Inhalt des eigenen Kühlschranks. Im zweiten Schritt gelte es, diese Architektur gezielt so zu verändern, dass wir es uns selbst leichter machen, die Entscheidungen zu fällen, die wir wollen. Wir geben uns dadurch selbst Stupser in die gewünschte Richtung.

Die Forscher teilen die Self-Nudging-Werkzeuge in vier Kategorien auf.


Stupser Nr. 1: Erinnerungen und Hinweise

Platzieren Sie Erinnerungen und Hinweise für sich selbst. Das kann das Foto eines Apfels auf der Kühlschranktür sein oder die Jogging-Schuhe direkt vor dem Bett. Je emotional aufgeladener die Hinweise für Sie sind, desto höher ihre Wirksamkeit.


Stupser Nr. 2: Neu bewerten

Geben Sie Ihren Entscheidungen einen anderen Rahmen. Im Fachjargon heißt das Reframing. Beispielsweise können Sie die Entscheidung zwischen Joggen oder Nichtjoggen auch als eine Entscheidung zwischen Gesundheit oder Krankheit im Alter „framen“ oder jede Treppe als eine Gelegenheit willkommen heißen, Ihre Lebenserwartung minimal zu erhöhen. Auch hier geht es wieder darum, einen neuen Rahmen zu finden, der für Sie persönlich bedeutsam ist.


Stupser Nr. 3: Gezielte Hilfestellung

Sorgen Sie dafür, dass die Dinge, die Ihnen nicht gut tun, schwerer gehen oder mit größeren Hürden versehen sind. Umgekehrt können Sie sich die Dinge, die Ihnen gut tun, einfacher machen. Beispiele können sein: die Voreinstellungen in elektronischen Geräten ändern, Benachrichtigungen von Social-Media-Apps ausschalten oder – wie im Laden – die gesunden Lebensmittel im Kühlschrank auf Augenhöhe platzieren.


Stupser Nr. 4: Sich anderen mitteilen

Erzählen Sie (wohlmeinenden) Menschen in Ihrer Umgebung von Ihrem Vorhaben. So bauen Sie sich etwas Druck und Selbstverpflichtung mittels Öffentlichkeit und sozialer Verträge auf. Außerdem bekommen Sie wohlwollende Unterstützung. Hilfreich kann auch eine kleine „Abschreckung“ sein. So können Sie sich zum Beispiel gegenüber Personen aus dem Freundeskreis zu einer finanziellen Spende für eine politische Partei verpflichten, die Sie nicht mögen, sollten Sie das gesteckte Ziel nicht erreichen.


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Referenzen

https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797618779380

https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0148054

https://www.businessinsider.de/karriere/prokrastination-was-man-ueber-aufschieben-weiss-und-was-dagegen-hilft-r3/

https://www.cambridge.org/core/journals/behavioural-public-policy/article/abs/selfnudging-and-the-citizen-choice-architect/F526628F7F3C7B436FA2BCBFC1FC3C76

https://wirtschaftspsychologie-aktuell.de/magazin/leben/mit-self-nudging-gegen-den-inneren-schweinehund

Foto: Pexels, Marga Ehlers

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