Gute (angenehme) Gefühle machen uns stärker, gesünder, kreativer – wenn sie im richtigen Verhältnis zu belastenden Emotionen stehen. „Dreimal mehr positive Gefühle als negative“: Diese bewährte Faustregel wappnet Sie für schwierige Zeiten, Rückschläge und Krisen.
In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Sie den guten Gefühlen einen festen Platz in Ihrem Alltag geben und langfristig von ihnen profitieren.
Gefühle – das Wichtigste in Kürze
Das emotionale Netz
Gefühle sind psychische Zustände, mit denen wir auf Reize von außen oder innen reagieren. Als angeborenes Signalsystem dienen sie unserer Orientierung in der Welt. Gefühle zeigen sich auf verschiedenen Ebenen. Diese ergeben das sogenannte emotionale Netz.
- Wahrnehmung: Wir filtern und deuten unsere Wahrnehmung „im Licht“ des Gefühls. Bei Angst zum Beispiel kann schon der geringe Abstand eines Passanten bedrohlich wirken.
- Gedanken: Wir denken in Übereinstimmung mit unserem Gefühl und erinnern uns dabei an ähnliche Erfahrungen aus der Vergangenheit. Je stärker das Gefühl, desto stärker die Erinnerung, desto eingeengter das Denken – bis hin zum „Tunnelblick“.
- Körperreaktion: Der Körper reagiert auf das Gefühl. Bei Angst etwa mit schnellerem Herzschlag und Atem, Schwitzen, Enge in der Brust etc.
- Handlungsimpuls: Gefühle wollen immer, dass wir etwas tun. Bei Angst etwa die Situation verlassen, verändern oder Unterstützung suchen. Wir planen oder zeigen also Reaktionen, die dem Gefühl entsprechen.
Übrigens: Gefühle sind schnelllebig. Sie wechseln alle 40 Sekunden. Nur die Trauer bleibt länger.
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Unsere Tankanzeige
Gefühle sind für Menschen überlebenswichtig. Wie die Tankanzeige im Auto haben sie eine Signalfunktion. Anhand der Gefühle erkennen wir also, ob uns etwas fehlt oder wir etwas Erfüllendes wiederholen können. In dieser Logik gibt es deshalb auch keine vermeintlich guten oder schlechten Gefühle – alle sind da, und alle haben ihren Sinn.
- Die sog. positiven Gefühle wie Freude, Stolz oder Geborgenheit weisen uns darauf hin, dass unser emotionaler Tank gut gefüllt ist. Sie zeigen uns, was uns guttut.
- Die sog. negativen Gefühle wie Ärger, Angst oder Hilflosigkeit machen uns deutlich, dass gerade etwas Wichtiges fehlt. Sie helfen uns dabei, unerfüllte Bedürfnisse zu erkennen.
Der Kreislauf der guten Gefühle
Positive Gefühle ergeben sich aus der Verbindung mit uns selbst und anderen Menschen heraus, aus körperlichem wie geistigem Wohlbefinden oder persönlichen Erfolgen. Sie sind körperlich spürbar als (wohltuende) Anregung oder Beruhigung.
Die US-amerikanische Wissenschaftlerin Barbara Fredrickson1,2 fand heraus, dass positive Emotionen unsere Wahrnehmung erweitern („broaden“). Das heißt: Beim Erleben guter Gefühle ist unser Fokus weit. Wir können mehr Reize verarbeiten und entsprechende neuronale Verknüpfungen im Gehirn bilden. Das wiederum lässt uns anders denken, fühlen und vor allem handeln. Über die Zeit bauen sich auf Grundlage dieses erweiterten Verhaltensreservoirs neue Fähigkeiten und Ressourcen auf („build“). Wir erleben mehr Selbstwirksamkeit und Resilienz (innere Stärke). Die Folge: positive Emotionen. Damit beginnt eine Aufwärtsspirale.
Positive Gefühle schützen und unterstützen
Sprechen Psychologinnen und Psychologen vom sog. Undoing-Effekt, meinen sie damit die Wirkung positiver Gefühle, die nicht nur für sich wirken, sondern auch die Effekte belastender Emotionen abschwächen können.
So weit, so gut. Das Aber jedoch lautet: Entwicklungsgeschichtlich springt unser Gehirn viel schneller auf negative Gefühle an. Wir spüren sie schneller, intensiver und länger. Evolutionär lässt sich dieser Effekt gut erklären, hilfreich jedoch ist er im Alltag nicht. Unser Gehirn ist ein hervorragendes Trüffelschwein für belastende Emotionen. Zugleich – das ist die ermutigende Nachricht – kann es auch lernen, die positiven Gefühle im Alltag häufiger und mehr wahrzunehmen. Das ist eine Frage des Trainings!
3 für 1
So lautet die Faustregel für das Verhältnis angenehmer und belastender Gefühle. Das heißt:
Ungefähr drei positive Emotionen gleichen eine negative aus. Das ist keine mathematische Rechnung, sondern eher ein Wegweiser für den Alltag. Denn um psychisch gesund zu bleiben, brauchen wir angenehme Gefühle – am besten regelmäßig, wie bei der gesunden Ernährung. Einmal Salat pro Jahr bringt gar nichts, weil die Regelmäßigkeit fehlt. Immer und immer wieder. Das gilt auch für die positiven Emotionen.
Eine Frage des Fokus
Resiliente Menschen sind widerstandsfähiger gegen Stress. Sie bewahren sich selbst in schwierigen Situationen einen breiten Fokus in ihrer Wahrnehmung. So jedenfalls beschreibt es das dynamische Affektmodell4. Das heißt konkret: Resiliente Menschen können neben den belastenden Gefühlen auch positive Emotionen wahrnehmen. Selbst in Krisen. Diese Fähigkeit macht einen entscheidenden Unterschied.
Denn insgesamt geht es nicht darum, keine negativen Gefühle zu haben. Wie oben beschrieben, haben sie als „Signallampen für Bedürfnisse“ (unerfüllte in diesem Falle) eine zentrale Funktion. Entscheidend sind vielmehr Akzeptanz und Gleichzeitigkeit. Es geht darum, auch und gerade in schwierigen Situationen die Aufmerksamkeit gezielt und wiederholt auf positive Gefühle zu lenken und diese so gut und intensiv wahrzunehmen wie möglich. Als eine Art Gegengewicht zu den belastenden Gefühlen, und um den eigenen Akku wieder aufzuladen.
Die Galerie der guten Gefühle
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Praxisteil
Der „Tetris-Effekt“
Die Teilnehmer*innen eines Experiments spielten mehrere Tage Tetris. Danach sahen sie überall Formen, die sich aufeinander und nebeneinander legen ließen. Dieser Effekt ist eine Folge der Aufmerksamkeitslenkung. Auf was wir uns besonders konzentrieren, kommt in unserer Umwelt plötzlich überproportional häufig vor. Das gilt auch für Gefühle.
Wenn wir Gefahr suchen, finden wir Gefahr. Wenn wir bewusst nach positiven Eindrücken und Ereignissen suchen, verlagert sich unsere Aufmerksamkeit. Nach und nach gelingt es leichter und schneller, auch die kleinen positiven Freuden des Alltags wahrzunehmen.
Ein paar freundliche Worte beim Bäcker, der Sonnenaufgang über verschneiter Landschaft, ein besonderes Lied im Radio. Es sind diese vermeintlich kleinen Momente, die positive Emotionen wachrufen. Wiederholt erlebt und bewusst gespürt, bilden sie die Grundlage für eine stabile psychische Gesundheit.
Anregung 1: Gefühlssurfen
Mit dem Fokus auf alle Komponenten des emotionalen Netzes lässt sich die Wirkung positiver Gefühle verstärken. So entstehen „emotionale Anker“, die v.a. in schwierigen Zeiten hilfreich und tröstlich sein können.
Üben Sie sich im Gefühlssurfen.
- Treten Sie gedanklich in das Gefühl hinein.
- Benennen Sie das Gefühl und lassen Sie es voll da sein.
- Nehmen Sie wahr, wo im Körper Sie das Gefühl spüren.
- Nehmen Sie wahr, welche Gedanken Sie haben.
- Nehmen Sie auch Ihren Handlungsimpuls wahr. Führen Sie ihn nicht aus.
- Beobachten Sie, ob und wie sich das Gefühl evtl. verändert.
Anregung 2: Dankbarkeitsmoment am Abend
Dankbarkeit – das ist vielfach erwiesen – „baut“ im wahrsten Sinne des Wortes das Gehirn um, und das dauerhaft. Je öfter und regelmäßiger Sie sich in Dankbarkeit üben, umso schneller, langfristiger sowie stärker wird sie in Ihrem Gehirn verankert.
So geht’s:
- Nehmen Sie sich jeden Abend einen Moment Zeit, um sich zu überlegen: Wofür bin ich heute dankbar?
Machen Sie sich v.a. Ihren eigenen Anteil bewusst. - Kombinieren Sie diese Übung mit dem Gefühlssurfen und spüren Sie, wo im Körper Sie die Dankbarkeit spüren. Und wie?
Verweilen Sie in der angenehmen Körperwahrnehmung.
Ergänzung: Wer lieber schreibt, kann ein Dankbarkeitstagebuch anlegen. Das hat den Vorteil, dass Sie die Dankbarkeitsmoment nachlesen und nachspüren können.
Oder: Sie schreiben Ihre Dankbarkeitsmomente auf kleine Zettelchen und sammeln diese in einem Glas oder einer Box. An einem bestimmten Datum (z.B. zu Sylvester oder an Ihren Geburtstag) oder wenn Sie Ermunterung brauchen, können Sie die Zettelchen lesen und sich an die Momente erinnern (in Gedanken und mit Ihrer Körperwahrnehmung).
Anregung 3: Leichtes Lächeln
Achten Sie mal darauf, was in stressigen Momenten mit Ihrer Kiefermuskulatur passiert. Wahrscheinlich ist sie angespannt. Und das merken Sie im ganzen Körper.
Die beiden Kiefergelenke sind die höchstgelegenen Gelenke im Körper und damit der oberste Punkt, an dem statische Ungleichgewichte ausgeglichen werden können. Wie ein Mobile arbeiten die Fuß-, Knie-, Hüft-, Schulter-, Kiefergelenke und Wirbelsäule zusammen. Sie bedingen sich in ihren Lagen gegenseitig. Gemeinsam mit Muskeln und Faszienketten bilden sie ein dynamisches Spannungsnetzwerk. Das sorgt für koordinierte Bewegungen und aufrechte Körperhaltung. Das heißt: Die Entspannung des Kiefers kommt dem ganzen Körper zugute.
Eine Möglichkeit dazu ist das „Leichte Lächeln“.
So geht’s:
- Wenn Sie merken, dass Sie sehr angespannt sind, spannen Sie Gesicht (Grimasse!), Nacken und Schultern zunächst fest an. Lassen Sie die Anspannung dann los.
- Probieren Sie abschließend das „Leichte Lächeln“: Ihr Gesicht ist entspannt, die Mundwinkel leicht nach oben gezogen. Nur so viel, dass Sie es gerade merken. Das „Leichte Lächeln“ ist nur für Sie selbst. Ihr Gegenüber nimmt es gar nicht wahr.
- Atmen Sie ruhig ein und aus. Halten Sie das Lächeln für drei Atemzüge aufrecht.
Spüren Sie einen Unterschied im Körper? Wenn ja, welchen?
Eine Anregung noch: Basteln Sie sich einen kleinen Zettel oder ein Post-It mit einem Smiley drauf und platzieren Sie ihn an einer gut sichtbaren Stelle in der Wohnung oder am Arbeitsplatz. Als Erinnerung, im Laufe des Tages immer wieder leicht zu lächeln. Denn wie immer macht auch hier die Übung auf Dauer den Unterschied.
Lächeln Sie auch – und gerade dann – wenn Ihnen im Grunde gar nicht danach zumute ist. Ihr Gehirn merkt den Unterschied nicht und reagiert zuverlässig auf das Lächeln.
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Quellen:
1 Fredrickson, B. L. (2004). The broaden-and-build theory of positive emotions. In: Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences. 359 (1449): 1367–1378.
2 Fredrickson, B. (2011). Die Macht der guten Gefühle. Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert. Campus.
4 Davis, Zautra & Smith (2004). Chronic pain, stress, and the dynamics of affective differentiation. Journal of Personality, 72 (6), 1133 – 1159.